God is one. Life is one. Trying to live a meaningful one.
“Und vergib uns unsere Dummheit.”
“Und vergib uns unsere Dummheit.”

“Und vergib uns unsere Dummheit.”

Foto: Little Brother is Watching You

In Oliver Hirschbiegels Film “Der Untergang” gibt es eine Szene, die mich schon immer erschaudern ließ. In der Szene wird Hitler wird darüber in Kenntnis gesetzt, wie aussichtslos die militärische Lage gegen Ende des Krieges rund um Berlin ist: Die Stadt ist fast komplett umringt. Hitler reagiert darauf beruhigend und abwinkend: “Mit dem Angriff Steiners wird das alles in Ordnung kommen.” Die versammelten Generäle reagieren verschwitzt und unsicher, sagen schließlich: “Mein Führer…, Steiner…” – lange Pause – “… Steiner konnte nicht genügend Kräfte für einen Angriff forcieren… Der Angriff Steiners ist nicht erfolgt.” Langes Schweigen, Hitlers versteinertes Gesicht, aus dem er sich zittrig die Brille klaubt, um dann alle Versammelten bis auf vier herauszuschicken. Die schreit er dann an: “Das war ein BEFEHL! Der Angriff Steiners war ein BEFEHL! Wer sind Sie, dass Sie es wagen, sich meinen BEFEHLEN zu widersetzen?!” Nach einer langen Kaskade aus Gebrüll und Anschuldigungen kommt er dann zur Schlussfolgerung: “Von Anfang an bin ich verraten und betrogen worden.”

Jedes Mal fällt mir beim Anblick dieser Szene die Kinnlade vom schüttelnden Kopf: Wie ist es möglich, dass ein Mensch jeden Bezug zur Realität verliert? Ganz, ohne es zu merken? Mit voller Überzeugung Entscheidungen trifft, die weder realistischer noch stabiler sind als Lufthaken? Mit denen man sich selbst und sogar anderen Schaden zufügt? Wie ist das möglich?!

Man muss gar nicht erst bis Hitler gehen, das Phänomen ist uns allen sehr viel näher. Jeder von uns hätte Geschichten zu erzählen, in denen ein uns bekannter Mensch Entscheidungen gegen jeden Verstand getroffen hat und diese vermutlich auch bitter bezahlen musste. Es ist wie ein Muster, dass sich durch die gesamte Menschheit zieht, und das mich persönlich sehr frustriert. Vor vielleicht zehn Jahren begann ich, dieses Raster erstmals zu erkennen, seine Dimensionen einzusehen. Eigentlich war es mir als Außendienstler der Kirche wichtig, Menschen mit “der personifizierten Weisheit” in Kontakt zu bringen*, doch trotz mehr oder weniger großem anfänglichen Interesse entschieden sich die meisten früher oder später, doch wieder in alte, oft destruktive Muster zurückzufallen: Einsamkeit, Obdachlosigkeit, Untreue, Alkohol und Drogen, Überkonsum und vieles mehr. Und so begann mein Versuch, dem Phänomen etwas auf den Grund zu gehen.

Die Bibel hat erstaunlich viel zum Thema “Torheit” zu sagen und hilft uns ganz praktisch, wie man stattdessen “weise” werden kann. Doch die Ratschläge der Bibel sind nicht so leicht, selten sind sie intuitiv, sie fordern uns meistens zum Kampf mit dem inneren Schweinehund heraus. Außer der Bibel gibt es eine Menge andere Literatur zum Thema, und es wird sogar immer mehr. Selbst Dietrich Bonhoeffer, Theologe, Prophet und Zeitgenosse Hitlers, schrieb über die “Dummheit”. Es gibt historische, gesellschaftliche und psychologische Analysen, und natürlich unzählige Zitate. Das bekannteste stammt wohl von Einstein.


“Zwei Dinge sind unendlich:
Das Universum und die menschliche Dummheit.
Nur beim Universum bin ich mir nicht sicher. “

— Albert Einstein

Oft ist Dummheit die Folge von Selbsttäuschung und Selbstüberlistung. In unserem Hirn gibt es viele Areale, die unterschiedliche Aufgaben haben. Eins davon ist für rationale Entscheidungen verantwortlich. Ein anderes für emotionale, und das ist dominant. Beide sind wichtig, doch die allermeisten Entscheidungen trifft das emotionale Areal, wir entscheiden täglich tausend Dinge unbewusst aus einem Gefühl heraus, zum Beispiel, ob man nun zu diesen oder jenen Nudeln greift – auf dieser psychologischen Erkenntnis baut die ganze Werbeindustrie auf. Stehen diese beiden Areale in Konflikt miteinander, wenn sich also etwas gut anfühlt, wir aber wissen, das es ein Fehler wäre (oder umgekehrt), dann neigen wir dazu, innerlich so zu argumentieren, dass dem Gefühl schließlich recht gegeben wird. Das wäre die einfachste, psychologische Erklärung des inneren Schweinehunds. Und so kann es passieren, dass verheiratete Menschen fremdgehen oder brave Bürger ihren Fleischkonsum nicht reduzieren wollen. Obendrein spielen Gewohnheiten eine große Rolle im Gehirn. Der Mensch läuft die meiste Zeit seines Alltages auf einer Art Autopilot. Das bedeutet: Egal, welchem der beiden Areale wir zu folgen pflegen, ob rational oder emotional, die andere Seite wird sich langfristig daran anpassen. Sich zur täglichen Joggingrunde aufmachen wird sich irgendwann doch gut anfühlen. Ebenso wird man irgendwann alle seine Pseudoargumente für den eigenen Drogen- oder Fleischkonsum richtig gut und überzeugend finden. Je länger man daran festhält, desto mehr synchronisieren sich die beiden Areale in den fraglichen Bereichen.

Umgibt man sich obendrein wie Hitler mit lauter Generälen, die einen jahrelang umgarnen, immer zustimmen und einem zujubeln, wird man über Kurz oder Lang jeden Bezug zur Realität verlieren, man lebt in einer Phantasie. Sollten diese Generäle irgendwann aber doch widersprechen, so flippt man völlig aus, ist fest überzeugt, nun sei die ganze Welt völlig aus den Fugen geraten. Heutzutage heißen die Generäle, die ohne Unterlass all unsere Sperenzchen gutheißen und jedem noch so absurden Unsinn unterwürfig beipflichten, “soziale Medien” oder “Algoritmen”. Sie tun es so effektiv, dass nicht nur Führer und Machhaber, sondern plötzlich jeder X-Beliebige wieder auf Ideen kommt wie bedrohliche Fackelzüge organisieren oder wahllos auf Menschen schießen – und sich dabei auch noch voll im Recht zu sehen. In der deftigen Sprache der Bibel ist das der “Rat der Gottlosen” (Psalm 1), der sich willig von jeder dahergelaufenen Idee vögeln lässt (Hesekiel 16). Unzählige Male ermahnt die Bibel ihre Leser, sich nicht gehen zu lassen, gottesfürchtig zu bleiben und sich in Gottes- und Nächstenliebe demütig zu halten. Gottesfurcht ist der Beginn der Weisheit und damit der erste und wichtigste Schritt, um von der Torheit auf Distanz gehen.


“Die Waffen unseres Kampfes sind nicht menschlich,
sondern es sind die mächtigsten Waffen Gottes,
geeignet zur Zerstörung von Festungen.
Mit ihnen zerstören wir Gedankengebäude und jedes Bollwerk,
das sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt,
wir nehmen jeden solcher Gedanken gefangen
und unterstellen sie Christus.”

— Paulus von Tarsus

Leider hatte ich in aufgeklärter Manier ernsthaft geglaubt, man könne die dumme Welt durch ein gutes Vorbild “zur Vernunft” bringen. Doch gerade die sozialen Medien haben mich auf ernüchternde Weise das Gegenteil gelehrt: Facebook, Telegram & Co. nageln uns Bretter vor den Kopf. Cambridge Analytica, Trump, Fundamentalismus, Rechtspopulismus, Klimaleugner, Coronaleugner, psychische Probleme in den jungen Generationen sind nur einige Beispiele. Algoritmen lullen uns ein und fördern jeden Nonsens. Jeder Mensch hat eine Schwäche dafür, ständig Bestätigung zu bekommen. Deshalb wundert mich kaum noch, dass ein ständig von Oligarchen umringter russischer Herrscher ernsthaft von der Idee überzeugt sein kann, das zerbrochene Ei der Sowjetunion wiederherstellen zu können, obwohl allen klar sein muss, dass es abgesehen von der Rüstungsindustrie keinen einzigen Gewinner geben kann, sondern nur Verlierer. Eine kleine, wenn auch weltliche Hoffnung kann hier nur sein, dass die heutigen Herren und Big Brothers der Welt von unzähligen small brothers und sisters dabei “gewatcht” werden, wie sie sich öffentlich von ihren eigenen Idiotien vergewaltigen lassen. Diese small brothers and sisters sind Menschen, die im Gegensatz zu Hitlers Generälen, Algoritmen oder Putins Oligarchen widersprechen und offen darauf hinweisen, dass der Kaiser nackt ist. Doch selbst eine ganze Weltgemeinschaft wie die UN ist in manchen Fällen nicht stark genug, die Macht der Unvernunft zu brechen. Unvernunft, so mag man daraus schließen, muss ebenso stark und mächtig sein wie das, was die Bibel Sünde nennt. Wir merken gar nicht mehr, dass wir uns auf Basis einer Lüge von Anfang an selbst verraten und betrogen haben.

Mein persönliches Morgengebet hat deshalb nun eine neue Zeile: “Und vergib uns unsere Dummheit.”


* “Die Weisheit” wird in der Bibel oft als Person dargestellt. Theologisch ist Weisheit auch ein Synonym für Jesus.