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Wieder mal. Doch 2019 fällt es mir schwer, die übliche Jahresrückblende zu schreiben. Weihnachten fühlt sich dieses Jahr irgendwie anders an.

Vielleicht, weil nun das erste volle Kalenderjahr ohne Kinder im Haus hinter uns liegt? Das glaube ich weniger, denn wir könnten kaum zufriedener mit unserem Nachwuchs sein. Alle drei meistern ihr Leben wunderbar, genießen ihre Aufgaben, Jobs und Ausbildungen. Es erfüllt uns mit jenem merkwürdigen Gefühlscocktail aus Stolz und Demut, Staunen und Dankbarkeit. Unserem Lebensziel, wertvolle Bausteine zur Gesellschaft zu liefern, sind wir ein gutes Stück näher gekommen.



Oder, weil wir jetzt als Paar unsere Aufgabe “verloren” haben? Das kann gar nicht sein, denn meine Frau blüht als Neonatalschwester auf wie kaum zuvor, selten war sie so lange so gut drauf, hat zu Hause gesungen und getanzt. Der Job tut ihr richtig gut. Auch ich sehe meine Aufgabe, in Europa an der Gemeinde der Zukunft zu arbeiten, als nötiger denn je. Als Paar geht es uns außergewöhnlich gut, meistens fühlen wir uns verliebter als auf der Hochzeitsreise.



Oder liegt es daran, dass wir im April unsere Hündin Zera einschläfern lassen mussten, die uns elf Jahre lang geholfen hat, in Schweden Freunde und ein zu Hause zu finden? Gewiss, der Verlust eines treuen Freundes ist schmerzhaft, auch wenn’s nur ein Vierbeiner war, doch langsam gewöhnt man sich selbst daran. Nun drehe ich tägliche Regenrunden ohne Hund – eine etwas andere Art der Selbstdisziplin.



Bisher war Weihnachten eine wunderschöne und wichtige Tradition für mich – unser Familienritual des Heiligen Abends ist vielleicht die einzige Gepflogenheit, die wir als Familie auch nach dem Umzug ins Ausland so gut wie unverändert bewahrt haben. Alles andere wurde nämlich kräftig durchgeschüttelt.



Dieses Jahr aber kommt es mir so vor, als gehörten alle Weihnachtstraditionen auf den Prüfstand. Traditionen sind sehr wichtig, sie geben Trost und Sicherheit. Und doch musste ich über die Jahre beobachten, dass ihre Formen haltbarer sind als der Inhalt. Manche christliche Tradition wirkt heute wie ein archäologisches Gefäß, dessen betagte Füllung schon längst zu Staub zerfiel. Damals, als der Inhalt noch frisch und erfrischend war, ging jeder freilich davon aus, dass sich die Tradition von Geschlecht zu Geschlecht erhalten wird, weil sich die Welt zu jenen Tagen nur sehr langsam veränderte. Heute hingegen kann ein einziges Smartphoneupdate mehr Veränderung verursachen, als früher Menschen zweier Generationen zusammen erlebten. Das macht so manchem Brauchtum den Garaus.

Mein Job ist es, alte Inhalte auf neue Zeiten zu kalibrieren – und umgekehrt. Vielleicht sogar ein paar neue Rituale schaffen, die besser ins 21. Jahrhundert passen.



Ein Beispiel:

In Zukunft gibt es wahrscheinlich einen wachsenden Bedarf an kollektiven Trauerritualen. Denn immer weniger schaffen es, so zu tun, als wäre nichts geschehen: Allein der Klimawandel besorgt immer mehr Menschen, ruft in uns eine ähnliche innere Unruhe wie bei üblichen Trauerphasen hervor. Hier im Westen sind Trauernde aber meist allein, außer Kranzniederlegungen und Kerzen anzünden kennen wir kaum kollektive Trauerrituale. Der Klimawandel aber wird jeden Menschen betreffen, nicht, wie sonst, nur einzelne Trauerfälle. Obendrein ist den wenigsten bewusst, wie Trauer verarbeitet wird – und die entstehenden Phänomene Klimatrauer oder Klimaangst sind sowieso völlig neue Erscheinungen. Kirchen und Gemeinden werden die Chance bekommen, ihre Kompetenz und Geschichte sinnvoll anzupassen um hilfreiche Zeremonien zu schaffen (die vielleicht sogar Traditionen werden). Es setzt aber voraus, falls nötig über den Schatten alter Traditionen zu springen.

Auch Weihnachten könnte in unserer Zeit an neuer Bedeutung gewinnen, doch daran habe ich mich bislang nicht gewagt – vielleicht, weil meine eigene Weihnachtstradition für mich so etwas wie eine Insel im Sturm der vielen Veränderungen ist. Für einen neuen Effekt bräuchte das Christfest aber zunächst einmal ein Downgrade. Denn die vielen Lichter und Geschenke waren einmal wunderbare Veranschaulichungen der Weihnachtsbotschaft in vergangenen Tagen – in Zeiten mit kargen Wintern ohne elektrisches Licht. Das 21. Jahrhundert erfordert eine ganz andere Symbolik, und die entdecken wir nur, wenn wir das Herz der Weihnachtsbotschaft neu entdecken.

Bevor wir alle im 20. Jahrhundert im Kaufrausch des Weihnachtsgeschäfts versumpften, besang man das Fest der Liebe noch so:


? Welt ging verloren, Christ ist geboren

aus: Oh du fröhliche

? Nun soll es werden Friede auf Erden

aus: Kommet ihr Hirten

“Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.”

Die Engel in Lukas 2,14

? Christ, der Retter ist da

? Da uns schlägt die rettende Stund

aus: Stille Nacht

? Der wird euch führ’n aus alle Not

aus: Vom Himmel hoch, da komm ich her

Weihnachten war Trost und Hoffnung. Christus kam als Retter, der aus Notlagen befreit. Viele identifizierten sich mit seinem Armenstatus: “Er ist einer von uns!” Doch gerade das verblasste im Glitzerglanz. Wir haben uns zwar die Lieder bewahrt, doch nicht die Kultur. Christ-Sein wird heute mit Wohlstand, Macht und Einfluss verwechselt. Wer im christlichen Abendland erinnert sich schon noch an stromlose Dunkelheit, totale Stille oder leere Mägen nach der Mahlzeit? Wer, außer den Papierlosen, weiß in unserem Land um den Existenzkampf ohne Sozialversicherung? Oder das ungewisse Gefühl, den morgigen Sonnenuntergang vielleicht gar nicht mehr zu erleben?

Christ ward geboren, doch Weihnacht ging verloren. Gekapert und vermarktet, wurde es zur leeren PVC-Verpackung, der Retter zur Plastikpuppe im Krippenspiel. In Zeiten globaler Ängste wäre es dringend angebracht, finde ich jedenfalls, das Verlorene zurückzuerobern und Weihnachten wieder zu einem Fest des Trosts und der Hoffnung zu machen.

Wenn Jesus der Sohn Gottes ist, als den ihn selbst Kaufhausmusik immer noch besingt, dann war Weihnachten nur sein erstes Kommen. Der Gedanke an sein zweites Kommen gäbe der Heiligen Nacht völlig neue Dimensionen: Hier liegt nicht nur ein Retter für einzelne Seelen in einem Futtertrog, sondern der des ganzen Planeten. Der berühmte Stern zu Bethlehem mag vielleicht nur dem weisen und gebildeten Auge aufgefallen sein, und doch war er ein bemerkenswerter Hinweis darauf, dass hier ein kosmischer Plan verfolgt wird, der jeden Weihnachtskitsch wie Wachs dahinschmelzen lässt.

Eine neue Weihnachtssymbolik für unsere Zeit müsste vor allem den Stall des Retters demonstrieren. Schlichtheit, Mäßigkeit, Anspruchslosigkeit ist die rechte Veranschaulichung für die Welt von heute – und ganz gewiss für die von morgen! Kilowatt schluckende Beleuchtungen und fette Weihnachtsbraten waren gestern. Doch was wir auch tun, wir dürfen nie vergessen, dass unsere Rituale und Traditionen immer nur Metapher bleiben, Stilmittel, die etwas Größeres vermitteln wollen. Selbst eine CO2-neutrale Weihnacht in ganz Europa würde die Welt nicht retten. Dazu braucht es den irdisch-überirdischen Retter. Doch wir könnten winzige, himmlische Lichtpunkte werden, die einen kosmischen Plan offenbaren und dennoch vielleicht nur von weisen Augen gesehen und erkannt werden.

So sehr ich also meine eigene Weihnachtstradition liebe, so sehr möchte ich vor allem den Sohn Gottes feiern und nicht mich selbst. Und sich selbst klein zu machen, das fühlt sich irgendwie immer komisch an.

1 comment

  1. Ihr Lieben,
    ganz tollen Dank für eueren ?-Gruß, er hat mir sehr gut getan. Schön, dass es euch gut geht in SE.
    Die Klimaveränderung werden wir alle sehr gut überstehen, sofern nicht überall auf der Welt die Wälder angezüdet werden, so wie 2019 in Brasilien und in CA.
    Die Welt hat schon viele Warmphasen gut gemeistert, schlimmer waren für die Menscheit die Eiszeiten, welche für 2020 ursprünglich vom Potsdam-Institut Berlin angekündigt war, daran sehen wir, der Mensch denkt und Gott lenkt.
    Aber auf Gott ist Verlaß ! – auf Politiker sollten wir uns nicht verlassen, auch nicht auf Greta, auch wenn sie hierzulande schon als “Heilige” gehandelt wird.
    Das alles ist nur Influencer-Werbung, auf die auch Frau Merkel hereingefallen ist.
    Ja, wenn demnächst in DE alle Kraftwerke heruntergefahren werden, dann gibt es wieder dunkle Städte und hell strahlende Weihnachtsbäume, mit Naturkerzen!

    Wir wünschen euch ein fröhliches Jahr 2020 und Gottes Leitung und Weisheit.
    Manfred M.

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marcusis@icloud.com

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